Handelszeitung 7.10.2016: Fintech-Revolution – Ueli Maurer 4.0
Der Fintech-Hype ist im Bundeshaus angekommen. Nicht weniger als dreieinhalb Stunden nahm sich Finanzminister Ueli Maurer vor Wochenfrist Zeit, um der Fintech-Branche am runden Tisch den Puls zu messen. Spätestens jetzt fühlt sich die Startup-Szene von der Politik ernst genommen. Das Tempo stimme – und ebenso die Marschrichtung, vermeldeten darauf diverse Teilnehmer aus der Fintech-Branche, die mit neuen Technologien disruptiv in von Banken dominierte Geschäftsfelder eindringen.
Dabei reiben sich auch gestandene Politbeobachter die Augen angesichts des Tempos, das der SVP-Magistrat anschlägt: Nicht nur in London, Singapur und Hongkong rüstet man sich für den Moment, wenn die Finanzrevolution ausbricht. Auch in der Schweiz schickt man sich an, der Startup-Szene den roten Teppich auszurollen. Und arbeitet mit Hochdruck daran, Hindernisse aus dem Weg zu räumen, die dem zarten Pflänzlein Fintech abträglich sein könnten.
Kaum ein Jahr ist es her, seit Mark Branson, Chef der Finanzmarktaufsicht Finma, erklärte, man könnte sich vorstellen, eine Bankbewilligung light einzuführen, um den neuen Unternehmen regulatorische Steine aus dem Weg zu räumen. Schliesslich sei eine herkömmliche Bankenlizenz den meisten dieser Fintech-Startups zu teuer – und verhindere so den Marktzutritt. Jetzt steht dem Vernehmen nach ein entsprechender Regulierungsvorschlag aus dem Finanzdepartement bereit. Schon in den nächsten Wochen will Bundesrat Maurer ein Massnahmenpaket präsentieren, welches Markteintrittsbarrieren für Fintech-Firmen abbauen will. Vorgesehen ist, dass die Verordnung bis spätestens Mitte 2017 in Kraft tritt.
40 Firmen im Sandkasten
Der Bund setzt vor allem bei der Bewilligungspraxis und dem Aufsichtsregime der Finma an: So will er Fintech-Firmen künftig erlauben, im Anfangsstadium in sogenannten Sandkästen mit neuen Geschäftsmodellen zu experimentieren, ohne dass sie sich wie heute der Regulierung der Finma unterwerfen müssen. Damit könne der Markt – und nicht der Staat – entscheiden, ob ein Geschäftsmodell zukunftsfähig sei, heisst es dazu bei der Finma.
In dieser bewilligungsfreien Entwicklungszone sollen die Firmen bleiben dürfen, solange sie Einlagen bis zu 1 Million Franken halten. Ursprünglich hatte der Bund die Obergrenze bei nur 200 000 Franken angelegt. Nach Kritik aus der Fintech-Branche hob er diese Grenze nun an. Etwa 35 bis 40 Startups dürften dabei die Kriterien für den Sandkasten erfüllen, schätzen Experten.
Fintech-Firmen, welche diesen Schwellenwert überschreiten, können eine sogenannte Innovatorenlizenz beantragen. Im Gegensatz zur herkömmlichen Bankenlizenz sollen dabei vor allem die strengen Eigenmittelanforderungen entfallen. «Die meisten Startups können es sich schlicht nicht leisten, wie herkömmliche Banken 10 Millionen Franken Eigenkapital einzuschiessen, um eine Banklizenz zu erhalten», sagt dazu Urs Häusler, Präsident des Verbands Swiss Finance Startups.
Dem Tempo der Branche Rechnung tragen
Zugänglich sein soll die neue Bewilligungskategorie bloss für Fintech-Firmen, die kein bankentypisches Geschäft betreiben, aber gewisse Elemente der Bankentätigkeit benötigen. So zum Beispiel die mittlerweile 40 Crowdfunding-Plattformen in der Schweiz. Um eine Kampagne schnell abwickeln zu können, sind die Betreiber darauf angewiesen, Gelder von den Unterstützern der über sie abgewickelten Projekte anzunehmen und bis zum Erreichen des Finanzierungsziels aufzubewahren.
Anders als heute soll ihnen diese Aufgabe künftig gestattet sein: So plant der Bund, die heutige Maximalfrist, innerhalb welcher Fintechs Kundengelder auf Abwicklungskonten halten dürfen, von 7 auf 60 Tage zu erhöhen, wie mehrere gut informierte Quellen bestätigen. Mit den geplanten Erleichterungen trägt der Bund dem Tempo der Fintech-Branche Rechnung. «Das Modell funktioniert aber nur, wenn auch die Finma sich der Geschwindigkeit anpasst – und die Firmen nicht monatelang auf die Bewilligung light warten müssen», sagt Häusler.
Erleichterungen auch für Spinoffs von Banken
Die regulatorischen Anpassungen stossen bei den herkömmlichen Banken und Versicherungen auf gemischte Reaktionen. Überall ist die Forderung zu hören, dass es gleich lange Spiesse in der Bewilligungspraxis brauche. «Die neuen Regeln dürfen nicht nur Startups zur Verfügung stehen, sondern auch Spin-offs von Banken», betont Andreas Kubli, Digitalchef der UBS Schweiz.
Wenn zum Beispiel eine Bank eine Tochterfirma für Crowdlending gründe, dürfe diese nicht benachteiligt werden. Kubli steht hinter der vom Bund geplanten Dynamisierung der Bewilligungspraxis – wie auch die Bankiervereinigung. «Nicht alle Banken können mit ihren Fintech-Ideen ins Silicon Valley gehen. Sie sind auf ein funktionierendes Ökosystem in der Schweiz angewiesen», erklärt Sprecher Thomas Sutter. Es sei erfreulich, dass man das in Bern erkannt habe.
Roadmap für Digitalisierung fehlt
Doch gibt es auch die kritischen Stimmen. «Die Anpassungen zielen zu stark auf Startups und beziehen die bestehenden Finanzdienstleister nicht ein», kritisiert Thomas Puschmann vom Verband Swiss Fintech Innovations, zugleich Leiter des Swiss Fintech Innovation Labs an der Universität Zürich. Der Verband zählt unter anderen die Credit Suisse, die SIX Group, Axa Winterthur, Raiffeisen und die Zürcher Kantonalbank zu seinen Mitgliedern. Dass diese auch Digitalisierungswünsche hätten, berücksichtige der Bund zu wenig.
Auch fehlt dem Bund laut Puschmann das Gesamtbild. «Erst eine solide Grundlagenarbeit kann eine anpassungsfähige Regulierung von Fintech ermöglichen, die auch künftige Geschäftsmodelle berücksichtigt», sagt Puschmann. Nötig sei, dass der Finanzplatz eine umfassende Strategie zur Digitalisierung entwickle, aus der ein konkreter Fahrplan für die einzelnen Teilbereiche abgeleitet werden könne. Swiss Fintech Innovations hat deshalb eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die skizzieren will, wie eine entsprechende Roadmap zur Fintech-Regulierung aussehen könnte. Puschmann hofft, dass sich weitere Akteure des Finanzplatzes an diesem Prozess beteiligen.